Agile 2

MITWIRKUNG | «Es kostet Zeit und Geld, aber es lohnt sich»

04. Februar 2021 / Anita Heinzmann
Selbstorganisation statt Hierarchie. So verstehen sich agile Unternehmen. Doch wie wird die Mitwirkung aktiv gelebt und wie wirkt sie sich auf die Motivation der Mitarbeitenden aus? Wir sprechen mit den Mitarbeitenden von zwei agilen Unternehmen: Elke Fassbender von Brot für alle und Ivo Bättig von der Digitalagentur Unic. Ihre Erfahrungen machen Lust auf Mitwirkung.

Welche Form von Mitwirkung gibt es in Ihrem Unternehmen?

Elke Fassbender, Brot für alle:

«Brot für alle hat die herkömmliche Linienorganisation durch ein organisches Kreismodell ersetzt. Jeder Kreis in der Organisation hat einen spezifischen Zweck, der dazu beiträgt, die Mission von «Brot für alle» zu erfüllen. Der Kreis «Administration», beispielsweise, hat den Zweck, die benötigten Informationen und Instrumente für die Steuerung des Unternehmens sicherzustellen. In diesem Kreis gibt es unterschiedliche Rollen. Sie tragen dazu bei, den Zweck des Kreises zu erfüllen. Zum Beispiel gibt es eine Rolle, die die Spendenbuchhaltung vollständig führt und tagesaktuell hält.
Die Mitwirkung in unserem Unternehmen besteht darin, dass jede Person innerhalb der definierten Verantwortlichkeiten seiner/ihrer Rolle so ausfüllt, dass der Rollenzweck bestmöglich erfüllt ist. Wie jemand seine Arbeit erledigt, um den Rollenzweck zu erfüllen, bleibt der Person selbst überlassen. Das Modell von «Brot für alle» betont die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden in ihren Rollen und die Selbstorganisation von Kreisen.»

Ivo Bättig, Unic:
«Unic hat im April 2017 eine agile Selbstorganisation in Form des Organisationssystems Holokratie eingeführt. Im Zentrum steht dabei der Unternehmens-Purpose – also der Sinn und Zweck eines Unternehmens. Durch die Selbstorganisation können sich alle Mitarbeitenden in unterschiedlichen Rollen aktiv an der Gestaltung des operativen Geschäfts wie auch an den Verantwortlichkeitsstrukturen beteiligen. In der Holokratie gibt es keine personifizierte Hierarchie in Form von Vorgesetzten oder Chefs. Vielmehr sind die Verantwortlichkeiten der unterschiedlichen Rollen ausschlaggebend für die Entscheidungskompetenzen.»

Warum ist Mitwirkung für Sie positiv?

Elke Fassbender, Brot für alle:
«Die Mitarbeitenden sind motiviert, ihre Eigenverantwortung wahrzunehmen. Sie haben mehr Spielraum, im Rahmen ihrer Rollen, Entscheidungen allein zu treffen und die Rollen bestmöglich auszufüllen. Die Entscheidungswege sind generell kürzer und Projekte werden schneller umgesetzt. Und: Die Kreativität und die Effizienz steigen durch die Mitwirkung.»

Ivo Bättig, Unic:
«Dank der Mitwirkung können alle Mitarbeitenden ihre persönlichen Wahrnehmungen, ob etwas verbessert werden muss oder ob es Spannungen gibt, aktiv einbringen und dazu Vorschläge machen. Entscheide können deutlich effektiver und schneller gefällt werden, weil Klarheit bezüglich der Verantwortlichkeiten besteht. Zudem wird im Konsent-Prinzip entschieden. Anders als beim Konsens-Prinzip, müssen hier nicht alle einverstanden sein, sondern ein Vorschlag wird umgesetzt solange es keinen Widerstand gibt. So entsteht konkrete Agilität, denn Sachen werden vermehrt ausprobiert.»

Welche Tipps geben Sie Unternehmen, die agil werden möchten?

Elke Fassbender, Brot für alle:
«Allgemeine Tipps zu geben ist schwierig. Die Unternehmen müssen für sich selber entscheiden, ob ein solches Modell zu ihnen passt. Die Einführung sollte in jedem Fall von Berater*innen begleitet werden, die auf agile Organisationsformen spezialisiert sind. Es ist ein längerer Prozess, der anfangs Zeit und Geld kostet. Es lohnt sich aber in jedem Fall, da der grösste Teil der Mitarbeitenden die Eigenverantwortung schätzt und sie auch wahrnimmt. Das führt zu grosser Motivation und Kreativität, die sich auf das Gesamtunternehmen positiv auswirkt. In der heutigen Zeit sind Umdenken und neue Organisationsformen gefragt, um langfristig erfolgreich sein zu können. Der lange gültige Spruch «Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser» ist heute überholt.»

Ivo Bättig, Unic:

«Es motiviert die Mitarbeitenden, den Sinn und Zweck – also das «Warum?» – anstatt das «Wie und Was?» ins Zentrum zu stellen. Wichtig ist auch, die bestehenden Muster zur Verteilung von Macht als auch die Organisation von Arbeit zu überdenken: Passt dieses oder jenes noch in unsere heutige, sich schnell verändernde Arbeitswelt? Sinnvoll ist es, den Wunsch nach einer agilen Arbeitsweise mit neuen Methoden und Prozessen konkret zu machen. Am besten nutzt man die Macht der kleinen Schritte und nimmt die Veränderungen aktiv in Angriff – Schritt für Schritt - denn kleine Schritte führen zu einer grossen Wirkung.»

 

Die Unternehmen unserer Gesprächspartner*innen

 

Brot für alle

Brot für alle ist die Entwicklungsorganisation der Evangelischen Kirchen der Schweiz. Wir engagieren uns im Norden wie im Süden für einen Wandel hin zu neuen Modellen der Nahrungsmittelproduktion und der Wirtschaft. Diese setzen auf Kooperation zwischen den Menschen und fördern den Respekt gegenüber den natürlichen Ressourcen. Mit Sensibilisierungsarbeit und hoffnungsvollen Alternativen motivieren wir Menschen dazu, selber Teil des nötigen Wandels zu werden.

Brot für alle

 

Unic

Unic ist eine inhabergeführte Digitalagentur in der Schweiz, Deutschland und Polen mit 250 Mitarbeiter*innen. Wir konzipieren, entwickeln und betreiben digitale Plattformen für mittlere und grössere Unternehmen. Seit 1996 sind wir in der digitalen Welt unterwegs. Die Begeisterung für den Mehrwert des Digitalen verbindet unsere Expert*innen. Sie wirken an den Agentur-Standorten Bern, Karlsruhe, München, Zürich und Wrocław.

Unic

 

Blog-Reihe «Fokus Mitwirkung» und Broschüre «STEP BY STEP»

2019 hat INSOS Schweiz in 17 Unternehmen der beruflichen Integration («Werkstätten») Interviews mit Arbeitnehmenden, Arbeitgebenden sowie Assistenzpersonen zum Thema Mitwirkung geführt. Daraus ist im Sommer 2020 die Broschüre «Step by Step – In 10 Schritten zur Arbeitnehmendenvertretung» entstanden. Die Broschüre erklärt Mitwirkung, unterstützt die Gründung von Arbeitnehmendenvertretungen und hilft, die Qualität von Mitwirkung zu überprüfen. In der Blogreihe «Fokus Mitwirkung» ergänzen Beiträge aus der Praxis und Wissenschaft Inhalte der Broschüre. Sie dienen der Inspiration und veranschaulichen Aktuelles zum Thema Mitwirkung.

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