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«Die Pandemie war für uns eine Rollenfindung»

19. Juli 2021 / Elisabeth Seifert / Tschoff Löw
Die Bewältigung der Covid-19-Krise sowie die Föderation von CURAVIVA und INSOS sind die grossen Themen, welche die beiden Verbände derzeit primär beschäftigen. Wir haben bei den Geschäftsführern Peter Saxenhofer (INSOS) und Daniel Höchli (CURAVIVA) nachgefragt.


Wenn Sie auf das vergangene von Covid-19 geprägte Jahr blicken – welches waren aus Ihrer Sicht die hauptsächlichen Herausforderungen für die Institutionen?

Peter Saxenhofer: Es war ein sehr schwieriges Jahr für die Institutionen und auch für unsere Verbände. Wir hatten mit Herausforderungen zu tun, auf die wir alle nicht wirklich gut vorbereitet waren. Zu Beginn der Krise ging es zudem sehr lang, bis die Bedürfnisse der Institutionen, vor allem im Bereich Behinderung sowie Kinder und Jugendliche, von den Behörden beachtet wurden. Später machte uns zu schaffen, dass die Massnahmen auf Bundes- und Kantonsebene oft schlecht koordiniert waren.

Daniel Höchli: Das Virus zeigte die Verletzlichkeit grösserer Lebensgemeinschaften. Das hat man im Vorfeld unterschätzt. Die Alters- und Pflegeheime hatten ja mit gewissen Viren Erfahrungen, aber Covid-19 ist ein Virus, auf das man nicht vorbereitet war.

«Menschen mit Behinderung wurden in ihrer Freiheit allzu stark eingeschränkt.»

Saxenhofer: Bei Institutionen für Menschen mit Behinderung kam vor allem in der ersten Pandemiewelle erschwerend hinzu, dass für sie die gleichen Massnahmen galten wie für Pflegeeinrichtungen. Menschen mit Behinderung sind aber nicht per se vulnerabel. Sie wurden in ihrer Freiheit allzu stark eingeschränkt.

Höchli: Die ganz grosse Herausforderung für die Institutionen aus allen Bereichen war, dass sie ihren Grundauftrag nicht mehr erfüllen konnten. Dabei geht es um Teilhabe. Bei Menschen mit Behinderung wird das dadurch möglich, dass sie an Aktivitäten ausserhalb der Institutionen teilnehmen. In Pflegeinstitutionen geschieht dies primär, indem das Leben durch Besucherinnen und Besucher hereingeholt wird. All das war nicht mehr möglich oder wurde massiv eingeschränkt. Vor allem zu Beginn, mit der Zeit lernte man etwas besser mit der Situation umzugehen.

«Die hohen Fallzahlen waren für viele Institutionen schon an sich eine grosse Belastung. Hinzu kamen dann noch die Verurteilungen durch die Öffentlichkeit.»

Eine grosse Belastung gerade für die Alters- und Pflegeinstitutionen war es auch, dass sie aufgrund der hohen Fallzahlen massiv kritisiert wurden.

Höchli: Die hohen Fallzahlen waren für viele Institutionen schon an sich eine grosse Belastung. Hinzu kamen dann noch die Verurteilungen durch die Öffentlichkeit, und zwar ohne genau hinzuschauen und Verständnis für die Situation der Institutionen zu entwickeln.

Saxenhofer: In einem Pflegeheim sterben Jahr für Jahr zahlreiche Bewohnende. Alleine vor diesem Hintergrund scheint es mir sehr fraglich, ob es richtig war, keine Besucherinnen und Besucher sowie Angehörige zuzulassen. Heute weiss man im Übrigen, dass das Virus nicht primär durch Besucherinnen und Besucher in die Institutionen gelangte, sondern durch die Mitarbeitenden.

Was haben die Verbände unternommen, um die Institutionen in dieser schwierigen Situation zu unterstützen?

Höchli: Wir versuchten zum einen, die Mitglieder mit zeitgerechten Informationen zu versorgen, und zum anderen haben wir gegenüber den Behörden die Anliegen der Mitglieder zum Ausdruck gebracht. Sehr viele Ressourcen erforderte es, gegenüber den Medien Auskunft zu geben und dabei zu versuchen, die Situation der Institutionen zu erläutern.

Saxenhofer: Eine wichtige Rolle haben die Verbände auch da-bei übernommen, die Erarbeitung von Schutzkonzepten zu koordinieren. So musste nicht jede Institution selber viele Ressourcen dafür aufwenden. Wir haben Muster und Beispiele zur Verfügung gestellt, die für die Institutionen aus allen Bereichen hilfreich waren.

«Man kann als Verband in einer solchen Situation hyperventilieren, man kann aber auch zu passiv sein.»

Haben Sie das Richtige getan?

Höchli: Das ist eine Frage, die wir uns permanent stellen. Man kann als Verband in einer solchen Situation hyperventilieren, man kann aber auch zu passiv sein. Zu Beginn der zweiten Welle hätten wir noch besser vorausschauend planen können, zum Beispiel was die Entwicklung einer Teststrategie betrifft. Wir waren wahrscheinlich manchmal etwas zu stark mit der gerade aktuellen Situation beschäftigt.

«Wir haben im Moment und für den Moment gehandelt. Das war aber auch nötig.»

Saxenhofer: Wir haben im Moment und für den Moment gehandelt. Das war aber auch nötig. Was die Schutzkonzepte betrifft: Wir hatten zu wenig schnell gute Daten, um zu wissen, welche Massnahmen wirklich sinnvoll sind. Künftig müssen wir darauf drängen, dass wir rasch an die nötigen Informationen her-ankommen. Wenn wir zum Beispiel schneller gewusst hätten, dass primär die Mitarbeitenden das Virus in die Institutionen bringen, hätten wir das besser mit einbeziehen können.

Wie gut ist es gerade auch gegenüber der Öffentlichkeit gelungen aufzuzeigen, dass es nicht nur um den rein körperlichen Schutz gehen kann?

Höchli: Ich glaube, es ist uns gegenüber den Behörden und Medien mit der Zeit ganz gut gelungen, deutlich zu machen, dass ein Dilemma besteht zwischen dem physischen Schutz auf der einen Seite und der Selbstbestimmung auf der anderen Seite. Und dass es für die Institutionen alles andere als einfach war, hier einen guten Weg zu finden. Gerade auch bei den Medien stellte ich hier ein zunehmendes Verständnis fest.

«Die Kooperation mit den Behörden hat im Verlauf der Pandemie ganz klar zugenommen.»

Eine Schwierigkeit war die Kommunikation mit den Behörden.

Höchli: Die Kooperation mit den Behörden hat im Verlauf der Pandemie ganz klar zugenommen. Das war ein Lernprozess für beide Seiten. Zu Beginn haben wir Mails von einem anonymen Account erhalten mit der Aufforderung, bestimmte Informationen weiterzuleiten. Mir war es ein grosses Anliegen, dass wir eine Ansprechperson beim Bundesamt für Gesundheit erhalten, und zudem wollten wir auch wissen, was die Behörden von den Verbänden erwarten. Vor allem dann in der zweiten Welle wurden wir verstärkt mit einbezogen.

Saxenhofer: Am Anfang waren wir, wie gesagt, gar nicht im Fokus der Behörden. Die Behörden hatten die Bevölkerung als Ganzes im Fokus, und die Pandemie war für sie ein rein medizinisches Problem. Es ist uns im Verlauf der Pandemie, glaube ich, wirklich gut gelungen, uns als Verbände gegenüber den Behörden besser zu positionieren.

«Geschätzt wurde besonders, dass wir die Flut an Informationen für sie gebündelt und sie immer auf dem neuesten Stand gehalten haben.»

Saxenhofer: Gerade von Mitgliedern bekomme ich sehr gutes Feedback. Sie haben sich zunächst alleingelassen gefühlt und dann festgestellt, dass sie vom Verband Informationen und Unterstützung erhalten, die sie sich nicht so einfach selber hätten organisieren können. Geschätzt wurde besonders, dass wir die Flut an Informationen für sie gebündelt und sie immer auf dem neuesten Stand gehalten haben.

Höchli: Die Pandemie war für uns eine Rollenfindung, eine Rollenfindung in der Krise. Die Schwierigkeit bestand auch darin, jeweils zu entscheiden, ob die Verbände auf nationaler oder kantonaler Ebene intervenieren sollen. Gerade in der zweiten Phase ging ja vieles auf die kantonale Ebene über. Gegenüber den Behörden und den Mitgliedern konnten wir zeigen, dass wir eine wichtige Rolle im Gefüge haben

«Die Pandemie war für die Bevölkerung als Ganzes eine riesige Herausforderung.»

Kommen wir zu den Mitarbeitenden an der Front, diese waren einem enormen Druck und Stress ausgesetzt. Was sagen Sie dazu?

Höchli: Die Pandemie war für die Bevölkerung als Ganzes eine riesige Herausforderung. Im privaten Bereich waren etwa Familien mit Kindern besonders gefordert. Und die Mitarbeiten-den anderer Branchen, vor allem im Gastronomie- oder im Kulturbereich, erlebten eine sehr schwere Zeit, weil sie gar nicht arbeiten konnten. Pflege- und Betreuungspersonen waren umgekehrt einem deutlich höheren Arbeitsstress ausgesetzt. Wir müssen hier genau hinschauen und die Belastungen ernst nehmen. In gewissen Bereichen ist die Belastung schon in normalen Zeiten hoch und wurde jetzt noch höher. Wenn man ohnedies schon am Limit ist, ist eine solche Krise natürlich doppelt belastend.

«Es darf nicht einfach beim Applaus für die Pflegenden bleiben.»

Was gibt es kurz- und mittelfristig zu tun, damit nicht immer mehr Mitarbeitende den Bettel hinschmeissen?

Saxenhofer: Krisen legen immer auch die Schwächen offen. Es darf nicht einfach beim Applaus für die Pflegenden bleiben. Unsere Branche steht in der Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass die Bedingungen für die Angestellten besser werden. Der Anteil von Fachpersonal, das die Branche verlässt, ist zu hoch, zumal dies auch immer mit Kosten verbunden ist. Wir haben Handlungsbedarf.

«Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, was viel mit der Finanzierung zu tun hat.»

Was ist zu tun, damit sich die Situation verbessert?

Höchli: Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, was viel mit der Finanzierung zu tun hat. Was den Pflegebereich betrifft, enthält der Gegenvorschlag zur Pflegeinitiative jetzt zum Beispiel die Bestimmung, dass man die Leistungen für komplexe Erkrankungen am Lebensende besser in die Pflegefinanzierung mit einbezieht. Das ist sicher gut, muss aber erst umgesetzt werden. Für Leistungen in diesen Situationen steht dann mehr Zeit zur Verfügung.

Eine kürzlich publizierte grosse Studie zu einer Umfrage unter Pflegemitarbeitenden (Studie Shurp) spricht denn auch von einer «Rationierung der Pflege» aufgrund von Zeitmangel...

Höchli: Diese Studie zeigt auch, dass sich trotz vielen Bemühungen in den Heimen die Qualität nicht verbessert, weil eben schlicht und einfach die Zeit fehlt. Einen Qualitätssprung können wir also nur dann machen, wenn die Mitarbeitenden mehr Zeit haben, und nicht, indem wir die Heime mit immer noch mehr Qualitätsindikatoren und Auflagen belasten. Wir müssen konsequent darauf hinweisen, dass es gerade in Ein-richtungen, wo es um Lebensqualität geht, genügend Zeit für die Begleitung, Betreuung und Pflege braucht.

«Es stellt sich deshalb die grundsätzliche Frage: Ist die Gesellschaft bereit, mehr zu investieren?»

Saxenhofer: Das Berufsethos der Mitarbeitenden besteht nicht darin, die Bewohnenden zu versorgen. Es geht darum, Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen, und das geht oft nicht ohne Zeit. Es stellt sich deshalb die grundsätzliche Frage: Ist die Gesellschaft bereit, mehr zu investieren?

Höchli: Sowohl im Bereich von Menschen mit Behinderung als auch im Altersbereich müssen wir prüfen, ob wir mit der heutigen Bedarfserfassung genügend Zeit zur Verfügung stellen.

«Wichtig ist, dass wir künftig eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote aufbauen, die den individuellen Bedürfnissen entsprechen.»

Stationäre Settings für Pflege und Betreuung erweisen sich als besonders anfällig für Pandemie-Ausbrüche: Sind diese Settings noch zukunftsfähig?

Saxenhofer: Die Zukunftsfähigkeit stationärer Modelle möchte ich vor allem in einen Zusammenhang mit der UN-BRK und gesellschaftlichen Entwicklungen stellen. Was die Pandemie betrifft: Ich glaube nicht, dass es zu weniger Infektionen gekommen wäre, wenn alle Betagten bei sich zu Hause gewesen wären. Sie wären dort mindestens so isoliert gewesen, und Betreuende hätten das Virus auch in den privaten Wohnungen verbreiten können.

Tatsache ist, dass etliche Pflegeheime derzeit Mühe haben, Ihre Plätze zu belegen: Wird die Pandemie den sich abzeichnenden Wandel hin zu ambulanten, durchlässigen Angeboten beschleunigen?

Höchli: Das kann sein. Von Institutionsleitenden höre ich allerdings auch, dass sie in den vergangenen Wochen etliche Eintritte von Betagten zu verzeichnen hatten, die bedauert haben, dass sie den Schritt nicht schon früher gemacht haben. Die Belastungen zu Hause waren für sie oft schlicht zu gross. Wir dürfen die Entwicklung der Branche nicht einseitig in einen Zusammenhang mit der Pandemie bringen. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Frage, was die Menschen wollen. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir künftig eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote aufbauen, die den individuellen Bedürfnissen und dem Bedarf entsprechen.

«Wenn wir hierbei zusammenarbeiten, erreichen wir mehr.»

Sie sprechen Entwicklungen an, die alle Unterstützungsbereiche betreffen: Kommt die Föderation von CURAVIVA Schweiz und INSOS Schweiz also gerade zum richtigen Zeitpunkt?

Saxenhofer: Beide Verbände beschäftigen sich mit ähnlichen Fragestellungen. Es geht um Rahmenbedingungen, die verändert werden müssen. Wenn wir hierbei zusammenarbeiten, erreichen wir mehr. Heute lassen die Strukturen aufgrund des geltenden Finanzierungssystems gewisse Angebote gar nicht zu. Das System verhindert in vielen Kantonen eine Kombination von stationären und ambulanten Angeboten.

«Die Kategorisierung der Menschen in «Alte», «Behinderte» oder «fremdplatzierte Kinder» verliert an Bedeutung, der einzelne Mensch mit seinen spezifischen Bedürfnissen tritt in den Vordergrund.»

Höchli: Die Föderation erklärt sich vor allem auch mit pragmatischen Gründen. Wir haben historisch gewachsene Verbände. Nicht erst heute hat man festgestellt, dass viele Doppelspurigkeiten bestehen. Es gab deshalb in der Vergangenheit mehrfach Bemühungen, die Verbände zusammenzuführen. Dass es jetzt tatsächlich auf gutem Weg ist, hat damit zu tun, dass eine solche Zusammenarbeit aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen ein noch grösseres Potenzial erhalten hat. Die Kategorisierung der Menschen in «Alte», «Behinderte» oder «fremdplatzierte Kinder» verliert an Bedeutung, der einzelne Mensch mit seinen spezifischen Bedürfnissen tritt in den Vordergrund.

Die Föderation mit dem Dachverband ARTISET und den drei Branchenverbänden CURAVIVA, INSOS und YOUVITA startet am 1. Januar 2022. Sind Sie für den Start bereit?

Saxenhofer: Es gibt noch einiges zu tun, und es muss auch nicht alles am 1. Januar 2022 bereits geklärt sein. Die Absicht ist, dass wir zu diesem Zeitpunkt starten können. Gerade auch während der Pandemie hat sich gezeigt, wie sinnvoll es ist, wenn wir Parallelitäten abbauen können.

«Was wir schnell realisieren wollen, ist der gemeinsame starke Auftritt nach aussen gegenüber Politik und Behörden.»

Was haben die Institutionen in den Bereichen Alter, Behinderung und Kinder und Jugendliche von der Föderation?

Höchli: Die Mitglieder haben neu das Angebot beider Verbände, egal in welchem der drei Branchenverbände ihre Institution tätig ist. Das bedeutet gegenüber heute eine Ausweitung der Dienstleistungen. Was wir schnell realisieren wollen, ist der gemeinsame starke Auftritt nach aussen gegenüber Politik und Behörden. Da sind wir jetzt schon auf gutem Weg. Die gemeinsame Marke ARTISET wird dies dann auch klar signalisieren. Wichtig ist natürlich, dass die Mitglieder über die drei Branchenverbände weiterhin ihre spezifischen Anliegen deponieren können. Die Kontinuität muss gewahrt bleiben.

Saxenhofer: Mit der Föderation sind wir gegenüber den Behörden stärker als zuvor mit zwei Verbänden. Institutionen für Menschen mit Behinderung werden die Beseitigung der Doppelspurigkeiten gerade auch dadurch merken, dass sie sich ihre Informationen nicht mehr bei zwei Verbänden holen müssen, sondern gebündelt bei einer Quelle. Die Föderation vereinfacht ihre Mitgliedschaft.

Höchli: Eine Chance für die Mitglieder im Kinder- und Jugend-bereich ist, dass sie mit dem Auftritt als Branchenverband YOUVITA eine grössere Sichtbarkeit erhalten.

«Meine Befürchtung ist, dass wir in der Gesellschaft in Richtung Entsolidarisierung steuern. Die Föderation muss hier Gegensteuer geben.»

ARTISET wird das politische Sprachrohr der Institutionen sein: Wo sehen Sie für die nächsten Jahre die zentralen politischen Fragestellungen?

Saxenhofer: Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bietet unseren Mitgliedern eine neue Chance und bedeutet gleichzeitig auch eine Herausforderung. Die Unterstützung muss adäquat entwickelt werden. Dafür sind verschiedene Dinge notwendig: Das Angebot und die Rahmenbedingungen müssen angepasst werden. Es braucht Massnahmen auf Stufe Bund und Kantone. Zudem muss die Finanzierung aller Dienstleistungen gewährleistet bleiben. Meine Befürchtung ist, dass wir in der Gesellschaft in Richtung Entsolidarisierung steuern. Die Föderation muss hier Gegensteuer geben.

Könnten nicht gerade die grossen staatlichen Aufwendungen als Folge der Pandemie dazu führen, dass es im Bereich Gesundheit und Soziales wieder zu Sparprogrammen kommt?

Höchli: Im Gesundheitsbereich lässt sich durchaus sparen, aber nicht in der Grundversorgung. Dass die Leistungen der Langzeitpflege und die Leistungen im Sozialbereich weiterhin finanziert werden, dafür müssen wir kämpfen. Das ist eine Herausforderung: Der Staat hat hohe Covid-Kosten zu tragen, und im Bereich Alter steigen die Kosten aufgrund des demografischen Wandels.

«Es ist eine Herausforderung, die Branche für den gesellschaftlich gewollten Wandel zu sensibilisieren.»

Die neuen gesellschaftlichen Werthaltungen erfordern neue Rahmenbedingungen auf politischer Seite. Zudem braucht es aber auch ein Umdenken bei den Leistungserbringern.

Höchli: Es ist eine Herausforderung, die Branche für den gesellschaftlich gewollten Wandel zu sensibilisieren. Wenn wir den Wandel verpassen, dann kommen wir unter die Räder.

Saxenhofer: Mit der Föderation setzen wir uns für die Interessen von Menschen mit Unterstützungsbedarf ein und wollen diesen die passenden Dienstleistungen anbieten. Dieser Fokus auf die Menschen mit Unterstützungsbedarf ist für die Institutionen nicht immer ganz einfach.

Höchli: Selbstbestimmung und Inklusion sind für mich die Stichworte, die unser Engagement im Interesse von Menschen mit Unterstützungsbedarf begleiten müssen. Beides ist wesentlich für die Lebensqualität. Selbst bestimmen können und gleichzeitig einbezogen sein.

Wo sehen Sie die vordringlichsten Herausforderungen für die drei Branchenverbände CURAVIVA, INSOS und YOUVITA?

Höchli: Beim Branchenverband CURAVIVA stehen der Aufbau eines differenzierten Angebots entlang der «Vision Wohnen im Alter» sowie die Verbesserung der Pflegefinanzierung im Zentrum. Bei YOUVITA wird es zum Beispiel um die Frage gehen, inwieweit man belastete Familien noch besser unter-stützten kann, sodass die Kinder wenn möglich im Familien-umfeld bleiben können. Ganz wichtig ist zudem, dass fremdplatzierte Jugendliche, sobald sie das Erwachsenenalter erreicht haben, nicht auf jegliche Unterstützung von aussen verzichten müssen. Sonst besteht die Gefahr, dass soziale Investitionen wieder verloren gehen. Es muss darum gehen, dass die Inklusion dieser Jugendlichen gelingt.

Saxenhofer: Im Bereich Behinderung wird es in Richtung De-Institutionalisierung gehen. Damit meine ich den Wandel der klassischen in sich geschlossenen Institutionen hin zu einem adäquaten stationären und ambulanten Angebot von Dienst-leistungen, das entsprechend den Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung gestaltet ist.

«ARTISET versteht sich als Verband der Dienstleister für Menschen mit Unterstützungsbedarf.»

 Wo steht ARTISET, und wo stehen die Institutionen in fünf Jahren?

Saxenhofer: Die Leistungserbringer werden ein breites Spektrum anbieten. Menschen mit Unterstützungsbedarf können bei der Gestaltung von Angeboten mitbestimmen und sich selbstbestimmt für die ihnen entsprechenden Dienstleistungen der Angebotspalette entscheiden.

«In fünf Jahren stehen wir an der Schwelle, um weitere Dienstleistungserbringer für Menschen mit Unterstützungsbedarf in die Föderation aufzunehmen.»

Höchli: ARTISET versteht sich als Verband der Dienstleister für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Mit der Vielfalt der Angebote wird auch die Vielfalt der Betriebe zunehmen. Die Auf-gabe von ARTISET wird es sein, der Verband für all diese Dienstleister zu sein.

Saxenhofer: In fünf Jahren stehen wir an der Schwelle, um weitere Dienstleistungserbringer für Menschen mit Unterstützungsbedarf in die Föderation aufzunehmen.

 

Unsere Gesprächspartner

Saxenhofer Peter

Peter Saxenhofer, Geschäftsführer von INSOS.

Daniel Hoechli web

Daniel Höchli, Geschäftsführer von CURAVIVA.

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