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CORONAVIRUS | Den Kontakt halten - Teil 2

11. Juni 2020 / France Santi
Die Isolation und Social Distancing haben unsere Kommunikation auf den Kopf gestellt. Wie haben die Institutionen und Organisationen für Menschen mit Behinderung die Situation bewältigt? Hier 3 weiteren Rück- und Ausblicke.
  1. IPADS FÜR ALLE
    Stéphane Delgrande, Leiter des Sozialpädagogischen Dienstes von EPI, erzählt.
  2. HERZLICHKEIT UND SPIELE
    Emmanuelle Raths, Helpdesk-Verantwortliche der IT-Abteilung und Mitglied der Delegiertenkommission von Foyer-Handicap, erzählt
  3. KUNSTWERKE AN DER WÄSCHELEINE
    Mireille Scholder, Leiterin der Fondation de Vernand, erzählt.

 

Hier können Sie den Blog «Kontakt halten» - Teil 1 lesen

 

iPads für alle

Stéphane Delgrande – EPI

Der Genfer Integrationsdienst EPI betreut mehr als 2000 Menschen mit Behinderungen oder Schwierigkeiten bei der sozialen und beruflichen Integration. Sie setzte auf Tablets für den gegenseitigen Austausch, wie Stéphane Delgrande, der Leiter des Sozialpädagogischen Dienstes, erklärt.

Aktivitäten

«Mitte Februar haben wir einen Krisenstab eingesetzt und bereits ein mögliches Besuchsverbot diskutiert. Wir haben unsere Bewohner und Bewohnerinnen und deren Eltern frühzeitig sensibilisiert. Als das Besuchsrecht dann aufgehoben wurde, war die Akzeptanz sehr hoch. Zwischen dem Beginn des Lockdowns am 16. März und dem 20. März 2020 haben wir insgesamt 20 Tablets gekauft, um alle unsere Lebensorte damit auszustatten. Einige Teams, die mit gehörlosen oder autistischen Bewohnern und Bewohnerinnen arbeiten, verfügten bereits über Tablets. Durch den Neuerwerb steht nun aber ein Tablet für jeweils 15 Bewohner und Bewohnerinnen zur Verfügung.

Die Geräte konnten zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden. Hauptsächlich ermöglichen sie es den Bewohnern und Bewohnerinnen, per Videoanruf mit ihren Familien in Kontakt zu bleiben. Gleichzeitig können die Teams damit aber auch Online-Aktivitäten wie Tanz- oder Entspannungsangebote suchen und daran teilnehmen oder Kochanleitungen folgen. Die Bewohner und Bewohnerinnen verwendeten die Tablets ausserdem, um ihren Familien, Freunden und Kollegen digitale Postkarten zu senden. Zudem haben wir versucht, über die Geräte die therapeutische Betreuung einiger Bewohner und Bewohnerinnen weiterhin sicherzustellen.»

Ergebnisse

«Insgesamt hat das sehr gut funktioniert. Unabhängig davon, ob sie schon an digitale Geräte gewöhnt waren, hatten die weitaus meisten unserer Bewohner und Bewohnerinnen grossen Spass an den Videokonferenzen. Einige, deren Familien weit weg wohnen, hatten so sogar häufigeren Kontakt als früher. Anstatt sich einmal alle zwei Monate zu sehen, konnten sich die Familienmitglieder nun wöchentlich kurz austauschen. Die digitalen Postkarten wurden besonders geschätzt. Über diese App blieben die Bewohner und Bewohnerinnen beispielsweise mit ihren Kollegen und Kolleginnen aus den Werkstätten in Kontakt.

Die digitalen Tools sind ein ganz klarer Vorteil, aber sie sind kein Patentrezept. Bestimmte autistische Bewohner und Bewohnerinnen oder Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zeigten Unverständnis angesichts der Videokonferenzen oder entwickelten sogar Ängste. Bei ihnen mussten wir auf Telefonate zurückgreifen. Auch was Therapiesitzungen angeht, sind wir mit den Videoanrufen an Grenzen gestossen. Denn es war schwierig, persönliche Dinge über ein Gerät zu besprechen.»

Die Zukunft

«Wir werden die Tablets weiter nutzen, um den Kontakt zu stärken. In bestimmten Situationen werden sie hilfreich sein, zum Beispiel um einen einstündigen wöchentlichen Videoaustausch mit den Lieben zu einem festen Ritual zu machen. Wir wollen die Geräte auch gebrauchen, um unsere Infos in Leichter Sprache zu verbreiten. So beispielsweise um Stoppgesten zu erklären, die weiterhin gelten werden.

Wir denken auch über neue Verwendungszwecke nach. Zusammen mit ASA Handicap Mental haben wir die Möglichkeit diskutiert, Zugang zu digitalen Ausbildungsmaterialien zu schaffen. Das würde eine Art angepasstes E-Learning darstellen.»

 

Herzlichkeit und Spiele

Emmanuelle Raths – Foyer-Handicap

Die Stiftung Foyer-Handicap ist auf die Betreuung von Menschen mit vorwiegend körperlichen Behinderungen spezialisiert. Für Emmanuelle Raths hatte der Lockdown auch etwas Positives: Er machte den persönlichen Austausch noch herzlicher. Emmanuelle Raths ist die Helpdesk-Verantwortliche der IT-Abteilung und Mitglied der Delegiertenkommission der Stiftung.

Aktivitäten

«In der Woche vor dem Lockdown beschlossen wir, einen Test durchzuführen. Ich nahm einen Laptop mit nach Hause und arbeitete einen Tag im Homeoffice. So bereiteten wir uns auf eine mögliche Schliessung vor. Wir wollten testen, ob es funktioniert. Das war am 13. März. Danach war ich nicht mehr im Büro. Alles ging sehr schnell. Was nur als Versuch gedacht war, wurde zum Dauerzustand.

Ich arbeitete also von zu Hause aus, sprach mich mit meinen Kollegen und Kolleginnen über Teams ab und nahm an den Videokonferenzen mit den anderen Mitgliedern der Delegiertenkommission teil. Wir haben auch eine Messenger-Gruppe gegründet, um in Kontakt zu bleiben und täglich mit unseren Arbeitskollegen und -kolleginnen zu kommunizieren.»

Ergebnisse

«Es gab Vor- und Nachteile. Schön ist es am Morgen. Der Rhythmus ist entspannter, und der Stress, dass man aus dem Haus muss, entfällt. Weniger gut ist die Arbeitsplatzergonomie bei mir zu Hause. Dort sitze ich mit dem Laptop am Küchentisch. Bei der Arbeit habe ich einen Computer mit zwei Bildschirmen. Und dann ist da zu Hause noch dieser besonders mitteilungsfreudige Kollege: mein Kater. Immer muss er auftauchen und zeigen, dass er auch noch da ist – besonders während der Videokonferenzen.

Die derzeitige Situation hat aber auch ihr Gutes: Wir haben eine neue Art der Kommunikation unter Kolleginnen und Kollegen und mit der Geschäftsleitung gefunden. Plötzlich wünschte man sich einen stärkeren Austausch, interessierte sich dafür, was es Neues gab, und wollte die anderen sehen. Der Austausch zwischen den Kollegen und Kolleginnen ist zwar während des ganzen Jahres sehr herzlich, aber während der Corona-Zeit war das noch viel stärker der Fall. Man freut sich, die anderen zu sehen, und tut dies auch kund. Wir haben Diskussionsgruppen gegründet. Es kam sogar vor, dass wir uns bei Teams einwählten, um gemeinsam zu essen. Und ich habe festgestellt, dass einige Kolleginnen und Kollegen genauso gerne Cluedo spielen wie ich. So haben wir begonnen, gemeinsam übers Smartphone und über Videoanrufe zu spielen.

Für die Delegiertenkommission stellten die Videokonferenzen eine tolle Entdeckung dar. Es ist nicht immer einfach, einen Ort und ein Datum zu finden, um uns zu treffen. Das gilt besonders für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die einen Behindertentransport brauchen. Die Videokonferenzen erleichtern uns die Arbeit. Und mir gefällt diese Art der Kommunikation, weil ich alle sehen kann. Wenn man in einem Raum um einen Tisch herum sitzt, sieht man nie alle Gesichter. Über die Online-Verbindung sehe ich jedes Gesicht und die einzelnen Reaktionen.»

Die Zukunft

«All diese neuen Kommunikationsmöglichkeiten werden die alten Arbeitsweisen ergänzen. Die Geschäftsstelle und die Delegiertenkommission werden auf jeden Fall weiterhin Videokonferenzen nutzen, um einen regelmässigeren Austausch zu ermöglichen. Für die tägliche Arbeit möchte ich jedoch zurück ins Büro. Aber auch das wird sich zeigen. Vielleicht arbeite ich ja ab und zu weiter von zu Hause aus. Hier eröffnen sich neue Chance und Möglichkeiten!»

 

Kunstwerke an der Wäscheleine

Mireille Scholder – Fondation de Vernand

Die Fondation de Vernand begleitet mehr als 600 Kinder und Erwachsene mit kognitiven Beeinträchtigungen, tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und Autismus-Spektrum-Störungen. Angesichts der Coronakrise musste die Stiftung auf neue Kommunikationskanäle und Unterhaltungsangebote umsteigen, so Mireille Scholder, die Leiterin der Fondation de Vernand.

Aktivitäten

«Während des Lockdowns bestand eines unserer Ziele darin, den Kontakt zu unseren Mitarbeitenden, zwischen den Teams sowie zwischen den Bewohner und Bewohnerinnen und deren Familien, aber auch zu den externen Mitarbeitenden zu halten, nachdem die Werkstätten geschlossen wurden. Über Videokonferenzen und Telefonate wurde den Bewohnern und Bewohnerinnen der Austausch mit ihren Liebsten ermöglicht. Für die Videokonferenzen waren wir bereits ausgestattet, da pro Lebensort ein Tablet vorhanden ist. Hinzu kommt, dass viele Bewohner und Bewohnerinnen und Mitarbeitende auch eigene Smartphones haben, die sie zu Kommunikationszwecken nutzen.

Uns war es wichtig aufzuzeigen, dass das Leben in der Stiftung weitergeht. Dazu haben wir jede Woche Videos auf Facebook veröffentlicht. Diese Videos mit dem Titel «Coucou de chez nous» waren höchstens eine Minute lang und berichteten über Momente aus unserem Alltag. Es war wesentlich, genau solche Momente zu teilen. Denn das, was während dieser Zeit am meisten gefehlt hat, war der Kontakt zu den Menschen ausserhalb des eigenen Wohnumfelds. Parallel haben wir die Familien mit einem regelmässigen Newsletter auf dem Laufenden gehalten. Diejenigen, die keinen Internetzugang haben, haben wir angerufen und ihnen die Newsletter-Texte am Telefon vorgelesen.  

Eine grosse Herausforderung bestand darin, Events zu organisieren. Begonnen haben wir mit einem Zahlenlotto per Videokonferenz. Zudem haben wir einen Backwettbewerb zwischen zwei Wohneinrichtungen durchgeführt. Um die Gewinner zu bestimmen, wurde eine Woche lang via Facebook abgestimmt. Nach einem Monat Online-Aktivitäten wollten wir dann etwas Konkreteres, etwas mit echtem Realitätsbezug, auf die Beine stellen. So entstand unser «Fil de solidarité»: Unsere Mitarbeitenden und deren Kinder sowie unsere Bewohner und Bewohnerinnen und deren Familien waren dazu aufgerufen, eigene Werke zu kreieren (Zeichnungen, Fotos, Gemälde, Gedichte etc.). Diese wurden an einer Leine in der Wohneinrichtung für unsere älteren Bewohner und Bewohnerinnen aufgehängt. Zudem wurden wöchentlich auch einige Werke in den sozialen Netzwerken veröffentlicht.»

Ergebnisse

«Alle Videos unserer Serie «Coucou de chez nous» wurden 400- bis 800-mal angeschaut, was uns sehr gefreut hat. Das Lotto und der Backwettbewerb waren ein riesiger Erfolg. Und mit dem «Fil de solidarité» haben wir es geschafft, die Leute im Umfeld der Stiftung konkret einzubinden: Die Teilnehmenden haben etwas für eine Einzelperson oder eine Gruppe geschaffen. Dass wir alles an einer Leine aufgehängt haben, hat echte Aufmerksamkeit erregt. Die Bewohner und Bewohnerinnen sahen, wie immer neue Werke hinzukamen. Sie merkten, dass man an sie denkt. Ich würde sagen, dass diese Krise auch gezeigt hat, was in unseren Bewohnern und Bewohnerinnen steckt, die sich erfolgreich an neue Vorgehensweisen angepasst und einen neuen Rhythmus gefunden haben.»

Die Zukunft

«Durch die Krise konnten unsere Bewohner und Bewohnerinnen wahrscheinlich ihre digitalen Kompetenzen erweitern. Das hoffe ich zumindest, denn wir haben stark auf Videos gesetzt, um Botschaften und Informationen zu verbreiten. Unsere Aktivitäten in den sozialen Netzwerken werden wir auf jeden Fall weiterführen. Am 8. Juni um 14.30 Uhr wird der Krisenstab seine Tätigkeit einstellen und als Zeichen dessen einen Baum pflanzen. Wir übertragen diese Abschlusszeremonie live auf unserer Facebook-Seite. So können auch diejenigen, die nicht vor Ort sein können, an diesem Anlass teilhaben.»

 

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Hauptbild: iStock/AaronAmat
Weitere Bilder: zvg

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