POLITIK | Rückblick auf die Wintersession 2023
Die drei letzten Wochen debattierten die National- und Ständerät:innen zu einer Vielzahl von Geschäften. Nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit für die Rosinen aus dem Bundeshaus, die wir für Sie herausgepickt haben.
3:0 für Basel – unentschiede isch es nit
Noch vor einem Jahr. Der Kanton Jura durfte erstmals eine Bundesrätin feiern. Lange Gesichter in der ehemaligen Fussballhochburg. Basel wurde seiner Favoritenrolle nicht gerecht. Es musste noch einmal ein Jahr vergehen, bis sich die Bundesrat-Wartezeit auf ein halbes Jahrhundert aufsummiert hatte. Jetzt aber: Nationalratspräsident, Ständeratspräsidentin und ein Bundesrat auf einen Schlag. Mehr ist für Schweizer Verhältnisse fast nicht möglich. Und die Ironie der Geschichte: Ein derart eindrückliches Standing in der Schweizer Politszene wäre mit der Wahl der Basler Kandidatin vor einem Jahr gar nicht möglich gewesen.
09.528 pa. Iv. Humbel «Finanzierung der Gesundheitsleistungen aus einer Hand. Einführung des Monismus»
Die Schlussabstimmung ist geschafft. Das Parlament hat der Integration der Pflege in EFAS (einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen) zugestimmt. Damit ist jetzt klar, dass der Einbezug der Pflege in EFAS ein zentraler Teil der Gesundheitsreform darstellt. Falls die Referendumsfrist ungenutzt verstreicht, tritt EFAS für die Akutmedizin auf den 1. Januar 2028 und für die Pflege vier Jahre später in Kraft.
Zusammenfassung im Newsticker-Format:
- 05.12.23: Der Ständerat folgt in allen Punkten seiner vorberatenden Kommission und spricht sich klar mit 31:12 Stimmen für den Einbezug der Pflege nach 7 Jahren aus. Der Kommissionssprecher weist in seinen Erläuterungen darauf hin, dass die Fahne gar nicht so einfach verständlich sein und stellt zu Behauptungen über einen Prämienschub unmissverständlich dar: «Mit Efas gibt es keine Mehr-, sondern eine Minderbelastung der Prämienzahler.»
- 08.12.23: Die Gesundheitskommission des Nationalrats diskutiert die Beschlüsse des Ständerats. Die Mehrheit der Kommission kommt der kleinen Kammer maximal entgegen. Doch werden diverse Minderheitsanträge gestellt z.B. zur Abgeltung der Vertragsspitäler, der Höhe des Kantonsbeitrags, der Rechnungskontrolle oder der Kostenbeteiligung der versicherten Personen. Die Integration der Pflege in EFAS nach 7 Jahren ist aber nicht länger bestritten. Ein neuer Zusatz soll jedoch explizit festhalten, dass bis zu diesem Zeitpunkt Tarife für die Pflegeleistungen vorliegen, die auf einer einheitlichen und transparenten Kosten- und Datenbasis basieren und die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen müssen.
- 14.12.23: Der Nationalrat folgt in allen Punkten seiner vorberatenden Kommission
- 14.12.23: Die Gesundheitskommission des Ständerats akzeptiert die vom Nationalrat eingebrachte Zusatzbestimmung für den Einbezug der Pflege.
- 18.12.23: Der Ständerat folgt seiner vorberatenden Kommission.
- 22.12.23: Schlussabstimmung. National- und Ständerat sagen JA zu EFAS und JA zum Einbezug der Pflege nach 7 Jahren. Nun steht die Frage im Raum, ob die Gewerkschaften das Referendum gegen die Gesundheitsreform ergreifen. Der Countdown läuft.
Medienmitteilung der Allianzpartner Pro EFAS
23.4170 Po. Graf «Wie kann der Bedarf an spezifischen Pflegenden im Bereich Pädiatrie KJFF (Kinder, Jugendliche, Familie und Frau) sichergestellt werden?»
Bundesrat Guy Parmelin erklärte dem Ständerat, es obliege den Hochschulen, die Inhalte des Pflegestudiums in Zusammenarbeit mit den Akteuren der Wirtschaft und der Gesellschaft festzulegen. Das Pflegestudium umfasse heute ein breites Aufgabenspektrum, darunter auch pädiatrische Pflegeleistungen. Deswegen sei es weder angebracht noch notwendig, den Bildungsinstitutionen von oben die pädiatrischen Studiengänge aufzuzwingen. Von dieser Vorstellung überzeugt lehnte der Ständerat das Postulat knapp mit 23 zu 20 Stimmen ab.
22.045 Geschäft des Bundesrats «Internationale Arbeitsorganisation: Übereinkommen Nr. 190 und Bericht über die Erklärung zu ihrem hundertjährigen Bestehen»
Es war zu befürchten, dass nach der Rückweisung des Ständerats und der ablehnenden Haltung seiner Rechtskommission nun auch der Nationalrat seine bereits erteilte Zustimmung zum Übereinkommen zurückzieht. Das Geschäft geht zurück an den Bundesrat. Einmal mehr zeigt sich, wie schwer sich das Parlament mit internationalen Übereinkommen tut. Bedauerlich, dass die Schweiz eine international anerkannte, einheitliche Definition von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt nicht ratifiziert und damit die Bemühungen der Schweiz zur Bekämpfung von Belästigung am Arbeitsplatz keine internationale Sichtbarkeit erhalten. – Wobei, ein Fensterlein bleibt noch offen. Der Nationalrat schlägt vor, in einem nächsten Schritt mal eine ordentliche Vernehmlassung durchzuführen. 🙄
21.3630 Mo. Maillard «Der 30. Oktober soll zum nationalen Tag der betreuenden Angehörigen werden»
Der "Tag der betreuenden Angehörigen" wurde 2012 vom Kanton Waadt lanciert und findet jeweils am 30. Oktober statt. Mittlerweile hat sich dieser Tag zu einem interkantonalen Format entwickelt. Verschiedene Kantone (Bern, Freiburg, Genf, Graubünden, Jura, Neuenburg, Tessin, Waadt, Wallis) und Organisationen nutzen dieses Datum, um betreuenden Angehörigen Dank und Anerkennung auszusprechen und bestehende Unterstützungsmöglichkeiten bekannt zu machen. - Der Bundesrat findet dies eine tolle Geschichte, stellte sich aber aus Gründen der Gleichbehandlung von anderen relevanten Themen gegen die Motion. Der Nationalrat sah das anders und stimmte der Motion im Frühling dieses Jahres zu. Obwohl die Initiative für diesen nationalen Tag aus diversen Kantonen stammt, lehnte der Ständerat nun den Vorstoss ab. Damit bleibt alles beim Alten, einige Kantone nutzen den Tag für Dank und Anerkennung an betreuende Angehörige, andere nicht.
20.445 pa. Iv. Suter «Neuer Straftatbestand Cybermobbing»
Die systematische Belästigung von Personen über digitale Kommunikationskanäle nimmt seit Jahren zu. Insbesondere Jugendliche sind betroffen. Frauen auch. Cybermobbing zeichnet sich dadurch aus, dass ein grosser Personenkreis erreicht werden kann und die Inhalte rund um die Uhr, breit und definitiv zugänglich sind. Die Täter zu entlarven, ist zudem nicht immer einfach. Der Ständerat ist der Ansicht, dass der bestehende Rechtsrahmen nicht ausreicht, um Cybermobbing wirksam zu bekämpfen. Da der Nationalrat der parlamentarischen Initiative ebenfalls Folge gegeben hat, ist es nun an Rechtskommission des Nationalrats einen Gesetzentwurf zu erarbeiten. Dadurch wird eine zeitgemässe Strafverfolgung von Cybermobbing ermöglicht.
23.4301 Ip. Graf «Was tun Bund und Kantone für anforderungsgerechte Löhne im Gesundheitssystem?»
Ständerätin Graf weist in ihrer Interpellation auf den Umstand hin, dass im Gesundheits- und Sozialwesen – im Vergleich zu anderen Branchen mit einem Fachkräftemangel – die Löhne unterdurchschnittlich gewachsen sind. Dies lässt sich damit erklären, dass im Gesundheits- und Sozialwesen die Rahmenbedingungen und somit auch den Spielraum für Lohnentwicklungen von den Regulatoren und Finanzträgern – also Bund und Kantone – definiert werden. Die Leistungserbringer können somit nur in beschränktem Masse mit Lohnerhöhungen als Branche attraktiver werden. Dieser Umstand wäre wohl besser nachvollziehbar, wenn nicht zeitgleich die Kantone und der Bund ihren eigenen Angestellten seit 2011 überdurchschnittlich steigende Reallöhne gewährt hätten. Dieses pikante Detail lässt den Bundesrat aber nicht von seiner gängigen Argumentationslinie abweichen. Trotz des Koordinationsorgans “Dialog Nationale Gesundheitspolitik” verweist er bei Fragen rund um die Arbeitsbedingungen auf die Kantone bzw. auf die Tarifpartner.
Interessante Vorstösse, die noch auf ihre Behandlung in den Räten warten
23.4281 Mo. Rechsteiner «Pflege durch Angehörige verbindlich regeln» und
23.4104 Ip. Binder «Anstellung von pflegenden Angehörigen und monetärer Wert der Betreuungs- und Pflegeleistungen von Angehörigen»
Laut Bundesamt für Statistik hat die unbezahlte Pflege und Betreuung von Erwachsenen 2020 einen monetären Wert von 3.4 Milliarden Franken. Dies und weitere interessante Angaben gehen aus der Antwort des Bundesrats auf die Interpellation von Nationalrätin Marianne Binder-Keller hervor. Auch zu den Grenzen beim Versuch, diesen Umfang der Pflege und Betreuung durch Angehörige präzis zu messen. Wie auch immer, es ist zu befürchten, dass die Qualitätssicherung der erbrachten Leistungen in dieser Grauzone auf der Strecke bleiben. Gerade deswegen verlangt die Motion Rechsteiner, dass Minimalstandards für die erforderliche Qualität der Leistungen sowie für die Ausbildung der pflegenden Angehörigen festgesetzt werden. Der Bundesrat lehnt die Motion Rechsteiner ab. Er begründet diese Haltung damit, dass anhand der verfügbaren Zahlen sich nicht ermitteln lasse, wie viele pflegende Angehörige bei einer Spitex-Organisation angestellt sind und wie viele Leistungen der Grundpflege diese Angehörigen unter Überwachung durch diplomiertes Pflegepersonal zu Lasten der OKP tatsächlich erbringen. Es sei deshalb auch nicht klar, inwieweit Pflegeleistungen von Angehörigen die Kostenentwicklung bei der Pflege zu Hause beeinflussen. Der Bundesrat verspricht, die noch offenen Fragen demnächst anzugehen und damit die Grundlage für einen Entscheid zu liefern, inwiefern weitergehende Regelungen notwendig sind. Ohne eine fundierte Entscheidungsgrundlage erachtet es der Bundesrat als verfrüht, Massnahmen zu treffen. Diese Ansicht wird der Nationalrat in einer der kommenden Sessionen genauer beurteilen.
23.4087 Po. de Quattro «Evaluation von Massnahmen gegen Gewalt an Kindern»
Nicht wenige Institutionen und Strukturen für Kinder und Jugendliche sind mit der Gewalt an Kinder in ihrem Abstammungskreis konfrontiert. Für die Bereitstellung von Schutz- und Hilfeleistungen sind in erster Linie die Kantone und Gemeinden zuständig. Interkantonalen Gremien, allen voran die SODK und die KOKES, bemühen sich um Koordinierung der Angebote und die Schliessung der Lücken. Deswegen erachtet der Bundesrat die Erarbeitung eines Berichts betreffend ergriffene Massnahmen gegen Gewalt an Kindern als nicht angezeigt. Dem hält Nationalrätin Jacqueline de Quattro entgegen, der Schutz der Kinder in den einzelnen Kantonen würde diesen Anstrengungen zum Trotz unterschiedlich umgesetzt. Darum brauche es einen umfassenden Schutz von Kindern vor Gewalt. Auch der UN-Kinderrechtsausschusses sprach sich in seiner Empfehlung an die Schweiz dafür aus. Vielfalt des Föderalismus oder einheitliche Umsetzung für alle Betroffenen? – Der Nationalrat wird entscheiden.
23.4326 Po SGK-N «Entwicklung der Hilfslosenentschädigung hin zu einem Betreuungsgeld. Reformbedarf und mögliche Umsetzungen»
Durch die demografische Entwicklung gewinnt der Erhalt der Selbstständigkeit für Menschen im Alter nochmals an Bedeutung. Damit dies möglich ist, braucht es den Bedürfnissen entsprechende Betreuungs- und Hilfsangebote. Jedoch sind in genau diesen Bereichen noch Abgrenzungs- und Finanzierungsfragen offen. Mit einem Postulat verlangt die Sozial- und Gesundheitskommission des Nationalrats deshalb, dass der Bundesrat offene Finanzierungsfragen zur Hilfslosenentschädigung im Alter klärt. So soll der Bericht aufzeigen, wie eine angepasste Entschädigung den Zugang zur Betreuung erleichtern kann, um damit die Risiken für Hospitalisierungen, psychische Erkrankungsbilder oder vorzeitige Heimeintritte deutlich zu reduzieren. Der Bundesrat lehnt das Postulat mir der Begründung ab, dass die Unterstützung und Betreuung in den Bereichen Alter und Behinderung in die Zuständigkeit der Kantone fällt und somit die Prüfung allfälliger Finanzierungslücken auch primär dort zu erfolgen habe.
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