INKLUSIVE ARBEITSWELT | Respekt und Geduld helfen
Gartenpraktikerin Sina Michael hat kein Problem damit, sich Arbeitsschritte immer wieder neu erklären zu lassen. Wichtig ist ihr allerdings, in welchem Ton man ihr das erklärt: Sie gibt sich Mühe, sorgfältig zu arbeiten, und möchte entsprechend sorgfältig behandelt werden. Dann arbeitet sie automatisch besser.
Schwungvoll zieht Sina Michael den Rechen über den frisch vertikutierten Rasen, fast rhythmisch zieht sie die Bahnen und häuft das Gras am Rand auf kleine Haufen. Die 20-Jährige wirkt fröhlich, Rasen vertikutieren und mähen mag sie gern, ganz im Gegensatz zum Jäten: «Das ist mir zu knifflig, da muss ich mich so konzentrieren.»
Aber insgesamt gefallen ihr die Arbeiten im Garten sehr, dort kann sich die Läuferin genug im Freien bewegen: Sport ist ihre Leidenschaft. Vier bis fünf Lauftrainings pro Woche absolviert sie und mehrere Krafttrainings. 2019 wurde sie gar an den Europa-Crossmeisterschaften U18 Schweizer Meisterin über 4000 Meter.
«Respekt und Geduld seien sehr wichtig.»
Ein etwas langsameres Tempo hat die gebürtige Eritreerin beim Lernen. Das hängt teilweise mit der Sprache zusammen: Als Sina Michael mit 11 Jahren in die Schweiz kam, sprach sie nur Tigrinisch, mit der deutschen Sprache und Schrift musste sie sich zuerst noch anfreunden. Deshalb absolvierte sie nach der Schulzeit im Ausbildungszentrum Steinhölzli Bildungswege in Köniz BE eine Praktische Ausbildung PrA als Gärtnerin. Im Sommer 2020 schloss sie diese ab, seither arbeitet sie im Gartenbetrieb einer Immobilienfirma in Ostermundigen bei Bern.
Fähigkeiten sehen statt Mankos
Ihr Chef Lorenz Krethlow sieht in erster Linie ihre Fähigkeiten, ihre positive und anpackende Art. Die Mankos plant er unkompliziert mit ein und sucht deshalb seine Mitarbeitenden absichtlich danach aus, dass sie untereinander – und dementsprechend auch mit Mitarbeiterin Michael – respekt- voll umgehen.
Respekt und Geduld seien sehr wichtig, findet er: Müsse man jemandem mit einer EBA-Ausbildung die Arbeitsschritte vielleicht fünf Mal erklären, sei das bei Sina halt immer wieder von vorne nötig. «Das braucht Feingefühl im täglichen Umgang», sagt er, «und man muss sich darauf einlassen wollen.»
«Mir ist aber viel wichtiger, dass es menschlich stimmt.»
Im Garten klappt das reibungslos, seit anderthalb Jahren arbeitet Sina Michael in gutem Einvernehmen mit Landschaftsgärtner Patrick Aeschbacher zusammen. Kürzlich allerdings half sie eine Weile in der firmeneigenen Wäscherei aus, weil im Winter zu wenig Gartenarbeiten anfielen. Dort, so meldete sie sich schon bald bei Lorenz Krethlow, kam es jedoch zu Konflikten. «Offenbar bekam Sina zu hören, sie sei ‹zu langsam› und ‹nicht gut›, also genau das, was man ihr nicht sagen sollte», sagt Krethlow. Er ging der Sache unverzüglich nach und suchte nach einer Lösung.
Gärtner Patrick Aeschbacher seinerseits staunte, als er von den Schwierigkeiten erfuhr. Er kommt mit seiner jungen Mitarbeiterin bestens aus: «Sina erledigt ihre Arbeit sehr sorgfältig und oft sogar besser als manche Hilfsgärtner mit Berufsattest, mit denen ich schon zusammengearbeitet habe», findet er.
Als Gärtner EFZ trage er ohnehin die Hauptverantwortung, da sei es nicht so schlimm, wenn er halt jedes Mal die gleichen Arbeitsschritte von vorne erklären müsse. Im Gegenteil: Wenn man sich darauf einlasse, sei die Zusammenarbeit eine Bereicherung. Es sei auch nicht so schlimm, wenn Sina anfangs oft nach der Arbeit einfach das Werkzeug im Garten liegengelassen habe, findet er, und lacht: «Das passierte auch mir anfangs ständig. Mir ist aber viel wichtiger, dass es menschlich stimmt.»
«Da sei es nicht so schlimm, wenn er halt jedes Mal die gleichen Arbeitsschritte von vorne erklären müsse.»
Hilfreich: Verständnis zeigen statt Ungeduld
Chef Lorenz Krethlow hat inzwischen die Schwierigkeiten ganz pragmatisch gelöst: Seit der Frühling wieder Einzug gehalten hat, hat er Sina Michael einfach wieder in den Garten- und Umgebungsdienst eingeteilt. Dort wird sie jetzt wieder verständnisvoll angeleitet von Patrick Aeschbacher, der es locker nimmt, wenn ihr logisches Denken oder ihre Zeitplanung ein bisschen anders funktionieren. Aeschbacher ist überzeugt, dass seine junge Kollegin auch eine Attestlehre schaffen könnte, jetzt, wo sie ihr Sprachdefizit weitgehend aufgeholt hat.
«Schreien und Respektlosigkeit mag ich überhaupt nicht.»
Tatsächlich wird Sina Michael irgendwann genau das ver- suchen: Im Sommer wechselt sie aus den Gärten in Ostermundigen zu einer Kita in Thörishaus. «Ich möchte schon lange gerne mit Kindern arbeiten», sagt sie. Ob dann nach dem geplanten zweijährigen Praktikum tatsächlich eine Lehre für das Eidgenössische Berufsattest möglich wird, muss sich noch zeigen. Hauptsache für sie ist, dass man ihr auf
Augenhöhe begegnet: «Schreien und Respektlosigkeit mag ich überhaupt nicht.» Ihre Qualitäten kann sie am besten entfalten, wenn man ihr geduldig und anständig begegnet.
Foto: Marco Zanoni
Zurück